Abschiedsrunde
Nach 40 Jahren zieht Brotfahrer Hans-Walter Wachter im Jänner 2022 zum letzten Mal den Schlüssel aus dem Armaturenbrett seines »Schneestern« und tritt den wohlverdienten Ruhestand an. Mit seinen Aufgaben ist er stets gewachsen. Vor allem zu einer menschlichen Größe im Team. Chefleut', MitarbeiterInnen und vor allem ganz Mathon und Galtür werden ihn täglich – und nächtlich – vermissen.
Langjährige MitarbeiterInnen sind die Perlen jedes Unternehmens. Sie geben Schlüssel-kompetenzen wie Loyalität, Verlässlichkeit, Flexibilität, Teamfähigkeit oder hoher Arbeitsmoral ein Gesicht. Sie sorgen für Kontinuität & gelten den Jungen als erfahrene Vorbilder. Kurz: Treue Seelen braucht ein Betrieb. Wie Hans-Walter Wachter, Brotfahrer bei Kurz von 1982 bis 2022.
Vor 40 Jahren heuerte ihn Bäckerei-Chef Elmar Kurz als Brotfahrer an. 22 Jahre jung war der Mathoner damals. Maler hatte er gelernt, von 1975 bis 1978 beim Maler Vogt in Ischgl. Diesen Beruf übte er fortan im Sommer aus, im Winter war er bei der Skischule Ischgl tätig. Dann, am 6. Dezember 1982, durfte er erstmals den Bäckerei-Lieferwagen starten, einen Mercedes T1 207D mit dem Komfort einer Wellblechgarage.
„Ja, bei den Autos hat sich im Laufe der Zeit schon was getan“, resümiert er nickend die Generationen von Dreieinhalbtonnern, auf denen er gesamt ca. 1 Million Kilometer durchs hintere Paznaun geritten ist. Auf Asphalt, Schotter, Schnee oder Eis.
Mit zunehmendem Alter schätzte der jetzt 61-Jährige den Komfort, den die heutige Flotte bietet. Die Zeiten, in denen man mit Daunenjacke und Handschuhen ein eiskaltes Häusl lenken und alle paar Schneestangen die Ketten montieren musste, seien gottlob längst vorbei. Zuletzt sprinterte er auf vier angetriebenen Rädern ins hintere Paznaun, den fesch im Corporate Design beschrifteten Kastenaufbau seines LKW randvoll mit bis zu 80 Sorten Brot. „Mein Schneestern“, wie er den Lieferwagen der Marke Mercedes liebevoll nannte. Und den er ebenso behandelte: „Ein top-gepflegtes Auto ist wichtig. Schließlich liefern wir eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel.“ Hannes fügt dem noch schmunzelnd hinzu: „Walter war immer der Einzige, der das Privileg hatte, einen Mercedes zu fahren. Der Rest der Flotte war und ist von VW.“
„The Driver“ mit drei Generationen Kurz: Elmar (l.), Hannes und Junior Julian.
Den Job als Brotfahrer nahm er von Beginn an ernst, sehr ernst. Leidenschaftlich ernst. Seit jenem Tag fuhr er die Tour Ischgl-Galtür. Liest sich simpel, ist aber ein komplexes Zusammenspiel von ausgeklügelter Lieferlogistik und dem absoluten Gespür für Schnee. Denn gerade im Paznauner Winter – der Haupt-Liefersaison – liegen Unwägbarkeiten quasi am Weg. Und die musste Hans-Walter immer richtig einschätzen und entsprechend handeln: „Meine Kunden in Mathon und Galtür brauchen ihr frisches Brot. Es kann ihnen egal sein, wie es dorthin gelangt. Darum musste ich mich kümmern.“ Schneemengen und damit Straßensperren sind für Lieferanten in diesem alpinen Terrain die Damoklesschwerter, die jederzeit wie Schranken niederzusausen drohen. Beides musste Hans-Walter stets im Blick haben, um rechtzeitig die Tour anpassen zu können. Aber auch der ausgefuchstesten Logistik setzt das Wetter irgendwann Grenzen, vor allem dort, wo der Winter wohnt. Dann bleiben die Mehrspurigen stehen und die Unerschrockenen machen sich einspurig zu Fuß auf den Weg von Ischgl nach Galtür: „Ich erinnere mich an zumindest drei Lawinenwinter mit totaler Straßensperre, in denen ich mehrmals den Fußmarsch von Mathon nach Galtür mit Zutaten zum Brotbacken im Gepäck angetreten habe. Da stand ich dann gemeinsam mit Seniorchef Elmar Kurz in unserer Galtürer Backstube, von der aus wir die Einheimischen und Gäste mit Brot versorgten.“ Mit Guxa-Brot, um genau zu sein, benannt nach dem Dialekt-Ausdruck für einen Schneesturm. Schwarze und weiße Wecken halten dann in Galtür die Versorgung mit dem Lebensmittel Brot aufrecht, wenn am Straßenwege nix mehr geht. Das ist heute noch so und frage nicht, wie gut das Guxa-Brot in einer derartigen ungewöhnlichen Lage schmeckt!
Geschichten über – mitunter missliche – Lagen kann der gesellige Familienvater eine nach der anderen erzählen. Denn der Job »on the road« ist nicht immer die helle Freude, da sind auch die dunklen Stunden. Ganz am Anfang seiner Karriere – 1983 – rettete er auf der Strecke einem liegengebliebenen Busfahrer vor einem Lawinenabgang das Leben. Die Brandkatastrophe vom 5. Jänner 1991, bei der die Bäckerei um Haaresbreite ein Raub der Flamme wurde, war für Hans-Walter als »fanatischer« Feuerwehrmann ein negatives Schlüsselerlebnis. Und dann 1999 das Lawinenunglück von Galtür das er hautnah miterleben musste. Damit nicht genug für ein Berufsleben, erlitt er 2006 während der Fahrt einen schweren Herzinfarkt. Er fuhr geistesgegenwärtig noch selbständig bis zum Arzt und musste anschließend sechsmal reanimiert werten. Was für ein Teufelskerl muss man da sein?! Ansonsten lassen sich die Krankenstandstage während der Jahrzehnte wahrscheinlich an zwei Händen abzählen. Allein das sagt schon viel über seine Einstellung zur Arbeit aus.
Brotfahrer Hans-Walter Wachter
„Meine Kunden in Mathon und Galtür brauchen ihr frisches Brot. Es kann ihnen egal sein, wie es dorthin gelangt. Darum musste ich mich kümmern.“
Zurück zu den positiven Seiten des Jobs: „Ich durfte so viele Bekanntschaften machen und Freundschaften schließen. Wenn dich mitten in der Nacht der Frühstückskoch lächelnd an der Hintertür eines großen Hotels begrüßt, weil er sich ehrlich über die Brotlieferung freut, das motiviert. Oder wenn sich Einheimische und Gäste bei dir bedanken, von denen du denkst, die nehmen dich gar nicht wahr.“ Erfahren – im Wortsinn – hat Hans-Walter in all den Jahren auch viel. Allerlei News aus Galtür brachte er immer als besondere Serviceleistung nach Ischgl mit. Bei einem Kaffee oder Kakao in der Zentrale wurde dann nach Ende der Schicht im Kreise der MitarbeiterInnen und mit den Chefleuten geplaudert und viel gelacht. Vier Generationen Kurz hat Hans-Walter im Familienbetrieb erlebt: Gebhard, Elmar, Hannes und Julian. Ihnen allen galt er als geselliger, immer gut gelaunter Teamplayer. Auch seine Mitfahrer haben Walter als Menschen offenbar sehr geschätzt. Das zeigte sich u.a. daran, dass er doch immer über mehrere Saisonen denselben Beifahrer hatte. Und wenn wieder mal ein Wechsel anstand, kümmerte sich der Fahrer in der Regel selbst darum und organisierte einen Nachfolger – natürlich ein Luxus für den Chef!
„Es ist Goldes wert, wenn man Leute wie Walter hat, auf die man sie sich zu 150 Prozent verlassen kann“, streut ihm Hannes Kurz zur Pensionierung Rosen. Im Namen meiner Familie und meiner Eltern möchte ich mich von Herzen für den unermüdlichen Einsatz über diese unwahrscheinlich lange Zeit bedanken! Walter war in den letzten vierzig Jahren ein wichtiger Bestandteil unseres Unternehmens und hat wesentlich an dessen Erfolg mitgewirkt. Wir wünschen ihm für seine Zukunft das Allerbeste. Vor allem aber Gesundheit und viel Zeit für seine vielen Hobbys.“
Dass umgekehrt aber auch die Chefleute vieles richtig machen, wenn Menschen 40 Jahre lang mit ihnen gemeinsam den Weg durch dick und dünn gehen, liegt auf der Hand. Das Betriebsklima wird der Neo-Pensionist in der Rente vermissen: „Die Firma Kurz ist immer gut zu mir gewesen!“ Die Arbeitszeiten von ca. 2 bis 10 Uhr in der Früh haben für Hans-Walter nun ein Ende. Mehr als 70 Millionen Semmeln hat er seit 1982 nach Galtür geliefert. Nur so als Beispiel. Eine respekteinflößende Vorlage für Nachfolger Alexander Parth. Er ist bereits seit dem Winter 2016 Beifahrer von Walter. Zu Kurz gekommen ist er als Handwerker einer talansässigen Baufirma im Zuge des Umbaus der Firmenzentrale in Ischgl. Dabei wurde Hannes Kurz auf ihn aufmerksam: „Seine geschickte und fleißige Arbeitsweise ist mir gleich aufgefallen.“ Also »heuerte« er den zweifachen Familienvater aus Tösens an. Seitdem sitzt er im Winter und bald ganzjährig »auf Achse« neben Walter – und bald auf dessen Fahrerstuhl.