Galtürer Enzian
Seit Jahrhunderten wird im Paznaun aus der Wurzel des Punktierten Enzians Schnaps gebrannt. Hermann Lorenz, seine Frau Alexandra Walter und Heidrun Walter aus Galtür gehen einen Schritt weiter: Sie kultivieren den Gelben Enzian für die Herstellung des berühmten „Enzner“ und verwenden den überirdischen Teil der Pflanze für Naturkosmetik. So entsteht aus der Tradition heraus: eine echte Innovation.
Was macht eine typische Tiroler Brettljause perfekt? Gutes Brot auf jeden Fall. Und natürlich ein Schnapserl zum Verdauen. Im Paznaun hat beides eine lange Geschichte. Die des Galtürer Enzners geht sogar viele Jahrhunderte zurück. Gefühlt immer schon haben die Menschen hier in den Hochtälern nach den Wurzeln des Punktierten Enzians gegraben, aus denen sie einen raren, erdigen Brand herstellen – jede Familie ein bisschen anders, nach ungeschriebenem Rezept. Das herbe Elixier gilt als Medizin.
„Ein Enzner hilft gegen fast alles“, wissen die Einheimischen.
Auch wenn der wilde Enzian längst unter Naturschutz steht, dürfen sie mit einer Ausnahmegenehmigung weiterhin Wurzeln graben. So bleibt das Wissen um die Standorte, Ernte und Verarbeitung des Galtürer Enzners, welches 2013 zum immateriellen Kulturerbe Österreichs erhoben wurde, am Leben. 13 Familien erhalten jedes Jahr am Galtürer Kirchtag Anfang September das Recht zugelost, je 100 kg zu stechen und zu Schnaps zu brennen. Ein Knochenjob mit dem überschaubaren Ergebnis von circa 7 Litern Schnaps. Das erklärt auch, warum das flüssige Gold im Tal wie ein Schatz gehütet wird. Ein Enzner wird nur zu besonderen Anlässen eingeschenkt, als Zeichen höchster Wertschätzung. Ein Stamperl wie ein Ritterschlag!
Dass heute ein paar mehr Leute in diesen Genuss kommen, verdanken wir dem Galtürer Schnapsbrenner Hermann Lorenz. 2017 wagte er es, die jahrhundertealte Tradition neu zu denken und setzte auf einem ehemaligen Acker die ersten Jungpflanzen des Gelben Enzians in die Erde. Wie gut diese in der Höhenlage auf 1.600 m gedeihen, zeigt ein Lokalaugenschein. Bald hinter dem südlichen Ortsschild von Galtür hebt sich rechterhand ein Feld mit hochstängeligem Bewuchs von den umliegenden Wiesen ab. Anfang Juli blüht der halbe Hektar mit rund 40.000 Pflanzen in kräftigem Gelb.
- Wie gelingt es, das größte kultivierte Enzianfeld im alpinen Raum zu bewirtschaften?
- „Mit harter Arbeit, Schweiß und viel Geduld“, lachen Hermann und seine Frau Alexandra, die das Projekt von Anfang an begleitet hat.
Gemeinsam mit ihrer Freundin Heidrun Walter verbringen sie viel Zeit hier draußen und folgen dabei ihren Prinzipien. Ein sorgsamer Umgang mit dem Boden gehört dazu, die Förderung von Biodiversität ebenso. Nach zwei Jahren Jäten, um die jungen Pflanzen zu unterstützen, darf zwischen den Enzianreihen wachsen, was aufkommt. „Die Natur täuscht nicht“, erklärt Alexandra. „Wenn man einen Fehler macht, sieht man’s. Die Arbeit am Feld ist ehrlich, das Ergebnis höchst zufriedenstellend!“
Im Herbst 2021 konnte Hermann Lorenz erstmals einen Teil seiner Wurzen graben und den daraus gebrannten Enzner in kleinen Mengen verkaufen. Doch was tun mit den überirdischen Bestandteilen der Pflanze? Wäre es nicht Verschwendung, die ebenso wertvollen Blätter und Blüten ungenutzt zu lassen?
Alexandra, selbst Ärztin und diplomierte Phytotherapeutin, und Heidrun, Marketing- und Produktmanagerin, entwickelten gemeinsam mit Pharmakologen, Agrarbiologen und Kosmetikherstellern über viele Monate eine Rezeptur, welche die einzigartigen Inhaltsstoffe der Pflanze zur Geltung bringt. Dafür werden die handgepflückten Blüten und Blättern zum Trocknen und Verarbeiten in professionelle Hände gegeben. So entsteht zunächst ein bitterstoffreicher Extrakt in Arzneimittelqualität. Daraus wiederum werden innovative Hautpflegeprodukte wie feste Seifen, Duschseifen und Lotionen gefertigt. Unter dem Label „Enzian cultiviert“ bringen Alexandra und Heidrun diese regionalen Naturprodukte auf den Markt. Beliebt sind sie als Mitbringsel und Geschenk. Auch viele heimische Partnerbetriebe wie etwa die Silvretta Therme setzen auf die Hautpflege aus dem Galtürer Enzian.
Hermann Lorenz
» Die Gedankenwelt von Kurz ist auch unsere. Wir beide stellen wertvolle Lebensmittel her und teilen Werte wie Regionalität und den sorgsamen Umgang mit natürlichen Rohstoffen. «
Mit seinen Marken „Enzner“ und „Enzner cultiviert“ beweist das Trio, dass Tradition kein starres Gebilde ist, sondern ein guter Nährboden für Weiterentwicklung. Als Ideenquelle dient die Natur. Neben Respekt vor dem Wissen der Ahnen braucht es eine große Portion Mut, um die Ecke zu denken, damit etwas Neues gedeihen kann.
So wie es vom Enzian heißt, er sei eigenwillig, müssen wohl auch seine Anbauer ein bisschen aus dem Rahmen fallen. Doch ist der Gelbe Enzian (Gentiana lutea) seinem wilden Verwandten (Gentiana punctata) überhaupt ebenbürtig? „Absolut“, bekräftigen Hermann, Alexandra und Heidrun.
„Bei den gleichen hochwertigen Inhaltsstoffen lässt sich auch geschmacklich kein Unterschied feststellen.“
Testversuche an der renommierten Stuttgarter Universität Hohenheim bescheinigen dem angebauten Enzner eine hohe Qualität und Reinheit. Da es zwar viele Meinungen, aber keine Literatur über die richtige Verarbeitung der Wurzeln gibt, setzt Edelbrandsommelier Hermann auf die eigenen hohen Standards.
Alexandra Walter
» Wenn man einen Fehler macht, sieht man’s. Die Arbeit am Feld ist ehrlich, das Ergebnis höchst zufriedenstellend! «
Mit der Bäckerei Kurz verbindet die „Enzian-Flüsterer“ zunächst die Liebe zum guten Brot. Den Gästen ihrer Vermietungsbetriebe servieren sie selbstverständlich die Backwaren vom heimischen Bäcker auf den Frühstückstisch. Doch die gegenseitige Wertschätzung geht darüber hinaus. Hannes Kurz findet die Neuinterpretation einer langen Tradition im Paznaun spannend. Und die Enzner-Pioniere meinen:
„Hannes, deine Gedankenwelt ist auch unsere. Wir beide stellen wertvolle Lebensmittel her und teilen Werte wie Regionalität und den sorgsamen Umgang mit natürlichen Rohstoffen!“
Darauf gibt’s einen Enzner. Ein seltenes, ein besonderes Vergnügen. Zum Wohl!
Der Gelbe Enzian wurde zur Arzneipflanze des Jahres 2022 gewählt.
Der im Gelben Enzian enthaltene Wirkstoff Amarogentin ist die bitterste bekannte, natürliche Substanz der Erde. Man kann sie in einer Verdünnung von 1:58 000 000 noch immer deutlich schmecken.
Die Produkte von „Enzian cultiviert“ sorgen für ein angenehmes Gefühl beim Waschen & Cremen, sie verminderten Juckreiz und pflegen trockene empfindliche Haut.
Mehr Infos, Online-Shop &
alle Verkaufsstellen auf: