Heimat im Fokus: Restaurator Joachim Kathrein aus Galtür
Joachim Kathrein ist ein besonnener, feinsinniger Mann. Muss er auch sein. Denn der waschechte Galtürer betreibt in seinem „Hoamatl“ ein Atelier für Restaurierung von Möbeln, Skulpturen und Sakralkunst – das einzige übrigens im gesamten Bezirk Landeck. Und in diesem Beruf, nein, in dieser Berufung braucht es eben Gefühl, Geduld, Respekt, Zurückhaltung, und vor allem: enormes Wissen um Kunsthandwerk und -geschichte sowie historisch korrekte Materialien. Ein Besuch in der Schatzkammer eines passionierten (Anti-)„Holzwurms“.
Beim Betreten des Ateliers – einer veritabel ausgestatteten Werkstatt, herrlich organisch gewachsen – streckt Joachim die Hand entgegen und lächelt. Ohne lange Umschweife beginnt er mit leuchtend blauen Augen hinter zarter Brille ruhig und mit sanfter Stimme von seinem Beruf, der Geschichte und den Geschichten zu den ihn umgebenden Objekte zu erzählen. Und das sind viele: nackerte Barockengel nebst volkstümlich bemaltem Kleiderschrank aus dem 19. Jahrhundert, geschmiedetes historisches Grabkreuz nebst Kruzifix nebst stilvollem Stuhl aus den 1900er-Jahren, dem man momentan seine mehr als 100 Lenze dauernde Besessenheit noch arg ansieht. Seine Auftraggeber: meist Privatpersonen, aber auch Bundes-Denkmalamt und Kirche. Sein Wirkungsbereich: meist die eigene Werkstatt, aber auch „Außendienst“ bei Restaurationen in ganz Tirol, bisweilen auch in Vorarlberg und Bayern.
Alles da, wo es der Joachim braucht. Die Werkstatt ist im Untergeschoss seines Wohnhauses beheimatet.
Joachim führt also anhand der „Exponate in Arbeit“ durch die Epochen und macht an ihnen seine wichtigste Aufgabe fest: „Als Restaurator musst du immer die Intention des Künstlers und/oder Handwerkers vor Augen haben, diese respektieren und zeitgerecht denken. Du darfst dich nicht selbst bei einem Objekt in den Vordergrund drängen, nicht seinen Charakter verändern. Jedes Stück ist ein Unikat.“ Mit Bescheidenheit also hinter den ursprünglichen Erschaffer zurücktreten und trotzdem die über viele Jahre erworbenen eigenen kunsthandwerklichen Fertigkeiten einbringen? Ein Spagat, den Joachim dank analytischer Herangehensweise und viel, viel Erfahrung locker hinbekommt: „Im Mittelpunkt stehen die Freude und der Gedanke, die Arbeit mit dem Wissen der alten Handwerker und Künstler der damaligen Zeit ausführen zu können.“
Die Befundung des Objekts, die Dokumentation des momentanen Zustandes und die Erstellung eines Restaurationskonzeptes sind erste Schritte bei einem Neuzugang. Unabhängig von Objekt und Epoche gelten bei Joachim die Grundsätze: „Historisches festigen und konservieren, wo notwendig Ergänzungen vornehmen und schonendst mit den vorhandenen Materialien umgehen.“ Klingt einfacher, als es ist, denn allein die Freilegung der ursprünglichen Oberfläche – gerade bei Skulpturen und Reliefs – kann eine wochen- und monatelange Geduldsprobe mit differenzierten Lösungsmitteln und Skalpell sein. Zuerst muss Joachim Schicht für Schicht zum Kern, zum Ursprung vordringen, um dann vorsichtig mit dem Restaurieren beginnen zu können. „Da darfst keinen Stress haben“, wie er lapidar vermerkt, um gleich über die psychische Komponente im Zusammenspiel aller Faktoren für ein gelungenes Werk zu sprechen: „Wenn du nicht gut drauf bist, geht’s nicht. Es muss grade passen im Kopf für dieses spezielle Objekt, dann wird’s was.“ Genau erklären kann er das nicht, ist halt Gefühlssache. Weshalb wohl so manche »Ladenhüter« in der Werkstatt eine dicke Staubschicht angesetzt haben. Es muss nicht sein, was grad nicht sein will – so geht Freiheit im Beruf!
Joachim Kathrein
» Ein Restaurator und ein Bäcker haben vieles gemeinsam. Sie stehen beide für den Erhalt von Werten und bedienen sich dafür alter Handwerkstraditionen. Der Faktor Zeit spielt in beiden Berufen eine wesentliche Rolle. Jeder hält auf seine Art Kultur am Leben und bereitet so den Menschen in seiner Umgebung Freude. Und noch eine persönliche Anmerkung: s’Brot vom Kurz isch s’bescht! «
Erblickt der Originalzustand das Licht der heutigen Welt, wird dieser individuell gereinigt und gefestigt, Fehlstellen werden entsprechend dem ursprünglichen Ausgangsmaterial ergänzt und in verschiedenen Techniken originalgetreu retuschiert. Gerade in der Möbelrestauration kommen Joachim seine Erfahrung und sein Wissen als Tischlermeister in Kombination mit der Ausbildung zum Restaurator zugute. Lose Holzteile leimt er mit dem altbewährten »Heißleim-Knochenleim«, fehlende werden von Hand erneuert oder an die vorhandenen angeglichen. Ein bemalter Bauernkasten, ein Intarsienkästchen, eine Jahrhunderte alte Truhe – nachdem der ziemlich genau 50-Jährige Hand angelegt hat, erstrahlen die kostbaren Stücke in neuem alten Glanz.
Bei all seinen Restaurationen kommen alte Techniken mit den entsprechenden korrekten Materialien zum Einsatz: Kleister mischt er aus Mehl und Wasser, für volkstümliche Malerei verwendet er zum Anrühren der Farbpigmente Kasein (Topfen mit Salmiak) als Bindemittel. Eitempera, Öl oder Kalk-Kasein sind Mittel der Wahl bei den Fassungen, mit original Schellack-Politur versiegelt er in aufwändiger Handarbeit Oberflächen. Auch über die Polimentvergoldung, die wohl anspruchsvollste Vergoldertechnik, erzählt Joachim gerne. Allerdings ohne praktische Vorführung, denn die 1/10.000. Millimeter dünnen Blattgoldblättchen machen beim geringsten Luftzug den Abflug. Seinen Schrank mit Rohstoffen – u. a. Pigmente aus den 1930er-Jahren, alte Beizen und Kreiden oder echter Schellack – hütet er wie seinen Augapfel. Die Leidenschaft für die hauseigene Herstellung der verwendeten Materialien entspringt auch einer Notwendigkeit: „Ich bekomme schlicht keine alten Öle, Lacke, Wachse, etc. mehr zu kaufen.“
Schon als kleiner Bub hat es Joachim die Kunst angetan. Seine Idole: Michelangelo und Leonardo. Pater Suso, Anfang der 1970er Pfarrer in Galtür und ein begnadeter Ölmaler, bringt dem Mesnersohn bei seinen vielen Aufenthalten im Widum die Malerei, Kunstbände und Bücher nahe. Die Leidenschaft für die Restauration von historischen und künstlerischen Dingen schließlich entsteht in seiner Lehrzeit als Tischler in seinem Heimatort. Danach zieht es den jungen Joachim in die Ferne – zuerst nach Oberösterreich, wo er in einem Restaurationsbetrieb die Ausbildung zum Restaurator für Stilmöbel absolviert. Parallel legt er in Salzburg die Tischler-Meisterprüfung ab. Sein Weg auf den Spuren alter Handwerker und Künstler führt ihn weiter nach Wien, Florenz, Mailand und schließlich ins „Mekka“ der Denkmalpflege – nach Venedig. Bei diesen Studienaufenthalten in Theorie und Praxis an renommierten Schulen und Lehrgängen verfeinert der Wandervogel aus dem hinteren Paznaun über viele Jahre sein Wissen und seine Fertigkeiten. 2007 schließlich macht er sich in Galtür selbstständig – eine gute Entscheidung fürs persönliche Glück, wie sich weisen wird. Wer nun sein liebster Künstler sei, will der Schreiber wissen. „Salvador Dali. Seine Fantasie macht ihn für mich zum größten Künstler.“
Authentisch, unverkünstelt, echt – Handwerk und seine Geschichte sichtbar machen, darum geht’s dem noch jungen Papa, dessen fünfjähriger Luis gerne und oft in der Werkstatt weilt: „Alt und neu fügen sich wunderbar zusammen. In allem ist Leben, das ich nicht verstecken will.“ Dieser Prämisse folgt er auch bei seinen Neuanfertigungen, wo er Historisches innovativ mit Neuem verbindet und tischlerhandwerkliche Traditionen ganz locker in die Gegenwart übersetzt. Eines seiner weiteren Steckenpferde ist der Krippenbau. Auch auf diesem Gebiet kennt Joachim, Krippenbauleiter des Krippenvereines Ischgl-Mathon, keine Berührungsängste mit Stilen oder Werkstoffen. Frei sei der Kopf! Apropos: Müssen Körper und Geist mal gelüftet werden, fliegt er ab – gen Himmel: mit seinem Drachen-Trike, einem motorisierten Ultraleichtflugzeug auf Hängegleiter-Basis, dem liebsten Hobby seit Jugendtagen. Bodenständigkeit hat viele Facetten.